Eine Helix als Metapher

Sie werden jetzt fragen - was soll eine Helix , eine zylindrische Spirale oder Wendel, als Metapher im Winterwald ?
Dazu möchte ich Ihnen zunächst kurz erklären: In der Zeit, wo ich das aufschrieb, hatte mich die Arbeit an einigen Artikeln meiner WEB- Seite wieder einmal vereinnahmt. Da muss man schon aufpassen, dass Erholungsphasen und Zeit zum Nachdenken bleiben. In unserer Gegend verlockt der Wald zu Wanderungen, Spaziergängen und Skitouren, Schnee war ja wieder ausreichend gefallen. Nach so einer Tour hat der Körper viel Sauerstoff getankt, man hatte Zeit, sich zu entspannen und an der Natur zu erfreuen.

Allerdings- der Kopf lässt nicht so schnell von den Gedanken ab, die man gewälzt hat, wo man nach einer treffenden Darlegung eines Sachverhaltes gesucht hat, wo man Fakten, Textstellen, Meinungen usw. zu einem schlüssigen Ganzen zusammenbringen möchte. Man sucht einen gewissen Abstand von den vielen Informationen, stellt Übereinstimmungen oder Widersprüche fest usw.. Sie kennen das sicher aus eigener Erfahrung. Man will  einen bestimmten Fakt, einen historischen Zusammenhang herausarbeiten - oder das zumindest versuchen-  und nicht irgendwelche Allgemeinplätze aufschreiben, dafür wäre die Zeit der Leser genauso vertan, wie die eigene.

Ihnen ist auch das sicher schon passiert - in einer Situation der Entspannung kommt scheinbar ohne direkten Zusammenhang ein Gedanke ... das kann man vielleicht als kleine Heureka- Situation bezeichnen, angelehnt an die bekannte Anekdote über Archimedes von Syrakus. ... Aber zu "Heureka" und zur Metapher etwas später.

Mich beschäftigte schon geraume Zeit der Gedanke, dass in der Geschichte des Real- Sozialismus der letzten 30 Jahre zu einem früheren Zeitpunkt, als 1985 (Gorbatschows "Perestroika"), eine große verpasset Chance existierte, die Geschicke der Völker der UdSSR und Osteuropas auf einen historisch erfolgreichen demokratischen und sozial gerechten Weg zu lenken.

Beim Lesen verschiedener Betrachtungen zur Geschichte der UdSSR und DDR ( zu denen ich auf dieser "WEB- Site" geschrieben habe ) kristallisierten sich verschiedene Kerngedanken heraus. Da war zum Einen der Zeitpunkt der Weichenstellung: E. Krenz schrieb u.a., dass "die eigentlichen Gründe des Versagens des Sozialismusmodells viel früher liegen, als es die politischen Fehler in der Endphase der DDR  1988/1989 erklären könnten". "Viel früher"??

Nicht alle Gedanken kommen sofort während der Wanderung, die Gedanken kreisen..

In der Zeit Ende der 50-er, Anfang der 60-er Jahre war die technologische Schere zwischen Ost und West noch relativ wenig geöffnet, die traditionellen wirtschafts- bestimmenden Branchen der Metallindustrie, des Schwermaschinenbaus, der Optik und Feinmechanik, der Textilindustrie usw. waren zumindest in Europa annähernd vergleichbar in ihrer Produktivität, der Investitionsbedarf überschaubar, die Handelsbeziehungen eher traditionell und die Effekte der Globalisierung noch in den Anfängen. Das militärische Gleichgewicht Ost-West war noch weitgehend von konventionellen Waffenarten bestimmt, der erst relativ kurze zuvor errungene Sieg der Sowjetarmee über Hitlerdeutschland hatte noch starke Nachwirkungen- der Sozialismus in der UdSSR hatte den entscheidenden Beitrag geleistet. Allerdings begannen seit ca. 1950 Atomwaffen diesem Gleichgewicht eine neue Dimension zu geben. Der Wettlauf im Kosmos, für die Öffentlichkeit mit Raumflügen und Satelliten sichtbar, bedrohten diese System- Balance  ständig, strategische Raketen hatten gewaltige  Sprengköpfe und konnten potentiell interkontinentale Ziele erreichen, Unterseeboote für strategische Raketen standen bereits auf den Werften, die Rüstungshaushalte wuchsen gewaltig! Und trotzdem- der Technologie- Abstand der Systeme war noch überschaubar, die Embargopolitik - die strikte Ausgrenzung des Sozialismus von der internationalen Arbeitsteilung und dem Handel mit Hoch-Technologie, hatte noch vergleichsweise wenig Wirkung. Aber es war wohl vor allem der starke Glaube der Menschen in die Kraft und die Perspektiven des Sozialismus, der Engagement und Aufbaustimmung nach der Überwindung der wesentlichsten Kriegsfolgen ausstrahlte.

Drei Jahre nach Stalins Tod, zum Zeitpunkt des XX. Parteitags der KPdSU, war scheinbar ausreichend Zeit vergangen, um die Welt- Lage mit gehöriger strategischer Weitsicht zu analysieren. Offensichtlich war die Doktrin von der sozialistischen Weltrevolution ein Irrweg!

Den kompletten Charakter des XX. Ptg. der KPdSU und den Text der Geheimrede Chruschtschows hatte ich erst in der Phase der Glasnost erfahren. 1961 fuhr ich zum Studium nach Leningrad - der Aufenthalt sollte mit Unterbrechungen bis 1970 dauern - also ab der zweiten Phase von  Chruschtschow, seines Wirkens bis 1964, der Zeit der ersten großen Triumphe der UdSSR im Kosmos und der Kuba- Krise! 6 Jahre nach der Wahl Breschnews ( 1964), der dann bis 1982 wirkte, allgemein als Exponent der Stagnation genannt, kam ich zurück in die DDR, die Promotionsurkunde mit Unterschrift von Minister Joachim Böhme im Gepäck, Start in eine neue Arbeitsetappe.. .

 

Hatte nicht schon Chruschtschow mit seiner Mannschaft die Wende zu einem neuen Sozialismus verpasst, einfach die Notwendigkeiten nicht erkannt. Konnte eine Gruppe Politbüro- Mitglieder, direkt Beteiligte an Stalins Verbrechen und an der Deformation der Marx'schen Idee, konnten solche Personen das System der Leitung des Staates und der Gesellschaft, die Staats- und Parteibürokratie mit einer Wende reformieren? Chruschtschow forderte 1956 die Rückbesinnung auf Lenin und die Wiederherstellung der Kollektivität der Führung der Partei... . Eine "Reform des Sozialismus " war das nicht, auch keine Entstalinisierung... . Seit 1961 wurde dann die Mauer in Berlin gebaut. Die Roll-back- Strategie der Westmächte lief auf Hochtouren. Und es gelang wohl auch nicht, im Glauben der großen Mehrheit der Menschen dem Sozialismus eine gute Perspektive zu geben. . .

 

Und ich erinnere mich noch, als wäre es gestern gewesen, und nicht das erste Mal seit damals:  Während einer Lesung von Markus Wolf in Dresden hatte ich ihn im großen Saal der Zuhörer gefragt, warum nach seiner Meinung  nicht im Ergebnis des XX. Parteitages eine echte Entstalinisierung - mit System- und Strukturänderungen in der Leitung der Gesellschaft und Personal- Wechsel bis tief in die Ebenen des Apparates, des KGB usw. erfolgte. Eine echte Antwort erhielt ich damals nicht( das war wohl 2005) . M. Wolf sagte sinngemäß, dass Stalin und seine Führungsmannschaft für den Sieg über den Hitlerfaschismus stehen ... ; das klang etwa so, wie "Sieger werden nicht gerichtet"! Hatte er gemeint, dass eine deutliche Änderung der Leitung der Prozesse beim Aufbau des Sozialismus ein sehr ausgewogenes behutsames Vorgehen benötigt, in einer Balance von Wichtigem, Bewährtem und Neuem? Oder hielt er es für unmöglich, bereits 1956 die Politik Andropows zu wagen? Oder hatte die KPdSU keine echten Vorstellungen von den bevorstehenden technologischen Revolutionen, die die Produktivität der Arbeit und die weltweite kapitalistische Arbeitsteilung so explosionsartig steigern würden? 

Wer das sehr persönliche und ehrliche Buch "Personalakte" ( "Личное дело") des letzten Chefs des KGB und langjährigen Leiters der 1. Hauptverwaltung für Auslandsaufklärung Wladimir Kjrutschkow kennt, also quasi des fachlichen Vorgesetzten von Markus Wolf, der findet dort auch eine sehr kritische Bewertung  der Situation in der UdSSR/ KPdSU nach deren XX. Parteitag und der Person N.S. Chruschtschows. Dort stellt er , etwa zur gleichen Zeit, weit tiefgründiger und kritischer fest, als das die o.g. Antwort M. Wolfs tut, dass die damals anstehende Aufarbeitung des Stalinismus unter der Führung von Personen, die selbst wichtige Führungspositionen unter Stalin innehatten und selbst Massen- Repressalien  zu verantworten hatten, eine extrem fragwürdige und keineswegs vertrauensbildende Vorgehensweise darstellte und , neben anderen Fehlern,  die ehrliche Aufarbeitung der Verbrechen  der Stalin- Zeit von Anbeginn methodisch und moralisch fragwürdig erscheinen lies.Damals war keine Entstalinisierung, keine "Reform des Sozialismus " im Programm!Was hat das denn nun mit "Heureka" und der Helix- Metapher zu tun, fragen Sie.

Um 1985 wurden die Defekte des existenten Systems des Sozialismus unübersehbar - 30 Jahre nach dem XX. Parteitag!! Und der kalte Krieg hatte , wie wir jetzt wissen,  bereits einen Sieger! 

Die Widersprüche, die sich auftun, wenn man versucht, im Verlaufe der "Perestroika" den Zeitpunkt und den Weg einer Wende zu definieren, sind auch aus heutiger Sicht sehr komplex! Wir sehen aber die Dinge mit dem Wissen um die Lehren der letzten Jahre ! Im Nachhinein wird Vieles deutlicher!

Eine Wende zu einem "reformierten  Sozialismus" nach Marx'schem Grund-Konzept, also mit Gemeinschafts- Eigentum an den Haupt- Produktionsmitteln der Gesellschaft, einer gesellschaftlichen Planung und daraus abgeleitet einer sozial gerechten Verteilung des Ergebnisses der Arbeit durch Umsetzung einer sozial dominierten Gesellschaftskonzeption, unter Führung einer breiten demokratischen Mehrheit der Gesellschaft und ihrer führenden produktiven Kräfte,  im Zeitraum ab 1985??

Betrachten Sie bitte mal die Helix (Darstellung aus http://de.wikipedia.org/wiki/Helix) - ich habe sie gekippt. Eine Wendel um eine zentrale Achse, mit vielen Einzelelementen! Das Bild einer  gesellschaftlichen Entwicklung ?? Vielleicht beginnt sie (unten) zum Zeitpunkt 1960 und endet ......  . Vielleicht hatte ein gesellschaftlicher Wandel auch eine Erfolgs-Chance mit einem Start 1985?

Eine zylindrische Wendel - um im Bild zu bleiben - in deren zentraler Achse sich das gesamtgesellschaftliche Eigentum an den wichtigsten Produktionsmitteln, den Banken und Versicherungen, Gesundheitseinrichtungen, allen allgemeinen Bildungseinrichtungen, Transport und Verkehr ... entwickelt  , immer als die zentrale Achse aller gesellschaftlichen Prozesse, gelenkt von staatlicher Planung und einer sozial gerechten Gesellschaftskonzeption, um die eine Art Gravitationsfeld besteht! Ein Staatswesen, wo die sozialen Werte der Gesellschaft im Interesse der Zukunft der Gesellschaft definiert sind, wo  Gesundheit der Menschen und Bildung der Jugend nicht vom Finanzbudget einer Regierung diktiert werden!

Um diesen Kern des Zylinders bewegt sich eine extrem komplizierte Vielfalt von Feldern des Lebens der Gesellschaft, die Breite der Spirale könnte auch eine internationale Dimension verdeutlichen, die Effekte der Globalisierung.... . Ein solches Bild könnte (!) eine Vorstellung vermitteln von der Komplexität der Prozesse, als Sinnbild. Prozesse bewegen sich nicht geradlinig! Wenn auch nicht so elegant, wie in der Mathematik .

Ein solcher Prozesse braucht nicht nur eine (dynamische) zentrale Achse, er braucht vor allem auch die Mitwirkung, Entwicklung aller seiner wichtigen Elemente! Eine Vielzahl von Akteuren in ihrem Wirken um eine zentrale Achse, gleichsam unter der Wirkung einer Gravitationskraft. 

***

Nun stelle man sich vor, dass diese Achse ihr zentrales "Gravitationsfeld" verliert. An diesem Bild schwer vorstellbar, ob eine Spirale mit komplizierter, verbogener Achse, nicht um einen Zylinder,  ein harmonisches Ganzes darstellen könnte. Aber genau das ist nach meinem Verständnis während der Perestroika passiert. Die Wirkung der zentralen Gravitationskräfte verschwand - besser gesagt diese erodierten und wurden systematisch zerstört, ohne eine alternative sozialistische Neu- Orientierung. Und mit diesem Bild vor Augen kann man vielleicht die Rolle der "Konservativen" - z.B. Leute um Jegor Ligatschow, als die Gralshüter der Achsenkräfte verstehen, deren Ziel es war, die Geschwindigkeit und die Hauptkräfte der "Perestroika" so zu steuern, dass die Hauptelemente einer sozialistischen Gesellschaft erhalten blieben.

Man könnte wohl diesem Bild eine zweite "Wendel " hinzufügen - die ein neoimperialistisches Marktmodell darstellt und die sich mit der "sozialistischen" Helix- durchdringt ( als Übergangsszenario !) - andere Richtung, andere variable Steigung, die Marktmechanismen und die Kräfte des Finanzkapitals als zentrale Gravitationsachse, eine ohnehin vom Hoch und Tief der Märkte, von Finanz-Krisen und Skandalen  geprägte verbogene unstetige  Linie... .

Aber eine neoliberale "Markt- Wendel" ist wohl ohnehin nicht vorstellbar, eher ein anderes chaotisches Gebilde. 

 

Das "Heureka" während der Wanderung war eigentlich nur die Idee, in einer bildhaften Weise die Komplexität der Geschichte der letzten 40 Jahre zu veranschaulichen. Wir wissen aus der Mechanik- Lehre bei einer einfachen Schraube, dass eine starke Vorwärts-Triebkraft aus der Hebelwirkung des Drehmomentes wirkt - entlang der Achse durch die Hebelgesetze. Sie wissen schon  "Produkt aus Kraft und Hebellänge.. " .. Wir erinnern uns auch, dass eine Schraube das eigenständige Zurückdrehen meist blockiert ( Reibungskräfte).

Übertragen auf eine Gesellschaft kann man schon sagen, je länger der Hebel, mit dem durchaus kleinere Kräfte auf Veränderungen wirken, um so kraftvoller die Ergebnisse, man muss ja gewaltige Massen im Denken und in der Gesellschaftsstruktur bewegen! Aber auch durch "Massenmedien" manipulierte Menschenmassen können starke Kräfte auslösen, sie sitzen ja "am längeren Hebel".

Wenn man aber ein Ergebnis mit einer sehr hohen Geschwindigkeit erreichen will, benötigt man enorm viel Kraft, und einen langen Hebel.. !

Oder das System verliert seine Stabilität!

Man kann sicher erwidern - das ist ja ein toller mechanistischer Vergleich, an den Haaren herbeigezogen, unseriös, für die menschliche Gesellschaft völlig daneben. Sie haben recht! Jeder Vergleich, jedes Modell, jedes Bild hinkt.

 

Bitte noch eine Frage: Existiert eigentlich ein anderer Begriff als Konterrevolution, wenn man die  "sozialistischen Grundlagen des gesellschaftlichen Eigentums, der Planung und der sozial gerechten Demokratie zerstört" ?

War Ihnen, als Sie kurz über diese Frage nachgedacht haben, vielleicht nicht doch die  "zentrale Achse" als Metapher hilfreich? Ich dachte, dass es vielleicht lohnt, die Gedanken um die Helix mal aufzuschreiben.

 

 

Nachbemerkung: Heute (2014 ) können wir in der Welt einige bemerkenswerte Reformen, "Revolutionen" beobachten, gerichtet gegen bestehende antidemokratische Regime, getragen von einer breiten Masse nach Reformen drängender Gruppen, mit ihrem Leben und ihren Chancen für eine menschenwürdige  Zukunft  unzufriedener Menschen. Der arabische Frühling, ganz aktuell die Aktionen auf dem Kiewer Maidan, die scheinbar demokratisch basiert sind!

Möge aus diesen Bewegungen eine "Achse" einer stabilen gesellschaftlichen Neuentwicklung entstehen. Es braucht dafür kluge und unbelastete Personen, aber nicht neoliberal orientierte Berater, z.B. aus Brüssel.

>> zur "Home -Site">